Ausgrenzung und Verfolgung
Vorurteile gegen Sinti und Roma
Sie werden seit Jahrhunderten ausgegrenzt, müssen mit Anfeindungen und Diskriminierung leben. In der Nazizeit wurden Hunderttausende von ihnen verschleppt, misshandelt, ermordet. Aber auch nach 1945 blieben die Vorurteile bestehen und sogar heute noch leben viele von ihnen lieber anonym als sich zu „outen“. Die Rede ist ausnahmsweise nicht von Juden, sondern von Sinti und Roma – von so Manchem auch heute noch mit dem Schimpfwort „Zigeuner“ tituliert.
Um ihre leidvolle Geschichte, um den Völkermord an 500.000 Sinti und Roma durch die Nazis und um ganz persönliche Erfahrungen Betroffener ging es am Samstagabend in einem Vortrags- und Filmabend, zu dem der Internationale Kulturverein Pfaffenhofen (IKVP) in den Rathaussaal eingeladen hatte. Wie die IKVP-Vorsitzende Marita Emrich erklärte, will der Verein mit seinen Interkulturellen und Interreligiösen Wochen unter dem Motto „Zusammen leben, zusammenwachsen“ einen Beitrag zu mehr gegenseitiger Akzeptanz, mehr Respekt und besserer Integration von Ausländern und anderen Minderheiten leisten. Sepp Steinbüchler, der als Moderator durch den Abend führte, die Referenten kurz vorstellte und die Zuhörer anschließend zu Fragen und Diskussion einlud, fügte hinzu, dass nur durch Information, durch Begegnung und persönliches Kennenlernen Vorurteile abgebaut werden können.
Vor kurzem hatte der Internationale Kulturverein bereits eine Ausstellung über die „Kunst aus dem Sinti- und Roma-Kulturkreis“ in der Städtischen Galerie gezeigt, und die Kuratorin Carine Raskin-Sander hatte mit Ilona Roché aus Ingolstadt auch die richtige Referentin für einen ebenso informativen wie beeindruckenden Vortrag über Sinti gefunden. Zusammen mit Jan Kreutz, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg arbeitet, berichtete Ilona Roché über die Geschichte, die Verfolgung und Diskriminierung der Sinti in Deutschland. Dabei konnte sie auch ganz persönliche Erfahrungen schildern, denn viele ihrer Verwandten wurden in Konzentrationslagern umgebracht. Auch ihre Großmutter Marie Herzenberger, der eine Stele im Ingolstädter Luitpoldpark gewidmet ist, wurde in Auschwitz ermordet. Ilona Rochés Mutter hatte Auschwitz als Jugendliche zwar überlebt, war aber seitdem schwer traumatisiert und litt zeitlebens an starken Depressionen und Ängsten.
Seit Ilona Roché im Jahr 2004 zusammen mit ihrer Mutter Auschwitz besucht hat, engagiert sie sich für Aufklärung und gegen das Vergessen. Sie ist Vorsitzende des Sinti Kultur- und Bildungsvereins Ingolstadt e. V., einem Regionalverband des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma mit Sitz in Heidelberg. Im dortigen Dokumentrations- und Kulturzentrum arbeitet Jan Kreutz, der Ilona Rochés Ausführungen mit vielen Zahlen, Fakten und Hintergrundinformationen anschaulich belegen konnte.
Er hatte zudem einen Film mitgebracht, der den menschenverachtenden Umgang der Nazis mit den Sinti und Roma sehr eindringlich und bedrückend verdeutlicht. „Auf Widersehen im Himmel“ heißt die Dokumentation über die „Kinder von Mulfingen“, die 1944 aus dem Kinderheim der St. Josefspflege in Mulfingen bei Schwäbisch Hall in das so genannte „Zigeunerlager“ des KZ Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Die Leitung des kirchlich geführten Kinderheims leistete dabei keinerlei Widerstand. 35 der 39 Sinti- und Roma-Kinder, deren Eltern bereits vorher verschleppt worden waren, wurden ermordet; nur vier überlebten in Arbeitslagern.
In dem sehr eindrücklichen Film berichten Überlebende von ihrer Zeit im Kinderheim und ihrer Deportation. Und sie schildern, wie sie noch heute unter dem leiden, was sie damals erlebt haben. In Auschwitz wurden einige der Kinder vom berüchtigten KZ-Arzt Dr. Josef Mengele zu medizinischen Experimenten missbraucht. Und zuvor waren sie in Mulfingen bereits ein Jahr lang als Versuchsobjekte für die Untersuchungen, Messungen und Experimente der „rassenhygienischen Forschungsstelle“ missbraucht worden. Die beteiligten „Zigeunerforscher“ wurden übrigens nie für ihre Taten belangt, sondern machten nach dem Krieg Karriere als Ärzte und Wissenschaftler.
Die Ermordung der Sinti und Roma erkannte die deutsche Regierung erst 1982 als Völkermord an. Und erst seit 1995 gelten die Sinti und Roma offiziell als nationale Minderheit.
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