Arbeitszeiterfassung
Was man zum Stechuhr-Urteil wissen muss

Für viele Arbeitgeber war die Meldung ein echter Knall - das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass Unternehmen verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden zu erfassen. Was der Betriebsrat damit zu tun hat und was das jetzt für Arbeitgeber und Arbeitnehmer konkret bedeutet, klärt sich hier.

Wie kam es zum Stechuhr-Urteil?
Eigentlich begann alles ganz unspektakulär: Wie so oft wurde ein Streit vor Gericht ausgetragen - diesmal über die Kompetenzen eines Betriebsrats; denn der wollte in einem Unternehmen bei der Einführung einer Arbeitszeiterfassung mitsprechen, der Arbeitgeber aber verlor das Interesse daran, ließ die Angelegenheit ruhen, was sich der Betriebsrat nicht bieten lassen wollte und ein Initiativerecht auf Einführung forderte. 

In der Folge wurde die Einigungsstelle hinzugezogen. Das Problem: Ob diese zuständig ist, wenn der Betriebsrat initiativ die Einführung einer Arbeitszeiterfassung verlange und die Einigungsstelle dann eine verbindliche Regelung treffen soll, ist unklar. Die Prüfung dessen erfolgte vor Gericht. Das Initiativrecht wurde folglich von einem vorinstanzlichen Arbeitsgericht bejaht. Dem Arbeitgeber wurde also Recht gegeben, er hat die Einführung einer Arbeitszeiterfassung zu regeln, nicht der Betriebsrat. Es kam zur Beschwerde und das Bundesarbeitsgericht (BAG) kam ins Spiel.

Das BAG-Urteil – ein Paukenschlag
Das Bundesarbeitsgericht gibt der ganzen Sache jedoch nun eine neue Wendung. In Erfurt stellte man fest, dass es gar nicht auf das Initiativrecht des Betriebsrates ankommt. Dieser dürfe nämlich sowieso nur dann mitbestimmen, wenn es keine gesetzlichen Regelungen gibt. In diesem Fall gibt diese aber: § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Dieser sieht vor, dass der Arbeitgeber zur Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit „für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“ habe.

Das Gericht urteilte nun jüngst, dass das auch die Messung und Erfassung der Arbeitszeit beinhaltet. Das heißt: Der Antrag des Betriebsrates wurde zwar zurückgewiesen und der Arbeitgeber bekam formal Recht. Was das Urteil nun aber bedeutet, hat eine ungleich größere Tragweite: eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung in Deutschland.

Am Ende sieht vor allem einer schlecht aus: der Gesetzgeber. Der wurde nämlich vom Urteil überholt – und muss jetzt nachziehen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Aktenzeichen: 1 ABR 22/21).

Arbeitszeiterfassung: Für wen sie gilt?
Das Arbeitsschutzgesetz gilt für alle Betriebe, unabhängig der Größe. Und auch unabhängig davon, ob ein Betriebsrat existiert oder nicht. Laut BAG-Urteil bedeutet das, dass künftig alle Unternehmen in Deutschland dazu verpflichtet sind, die Arbeitszeit zu erfassen.

Arbeitsrechtler sehen immense Auswirkungen auf tausende Vertrauensarbeitszeitmodelle, auf mobile Arbeitsmodelle oder auf das Homeoffice zukommen, weil nun mehr Kontrolle nötig ist. Für Wirtschaft und Verwaltung könnte das zur Mammutaufgabe werden.

Ab wann gilt die Arbeitszeiterfassung?
Die Erfassung von Arbeitszeit gilt ab sofort. Laut Pressemitteilung des Gerichts heißt das: „Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.“ Das Urteil ist also geltendes Recht.

Wie soll die Arbeitszeit erfasst werden?
In welcher Form die Arbeitszeit erfasst werden soll, ist noch offen. Denn eine elektronische Erfassung ist nicht obligatorisch. Doch gerade diese Frage ist nicht neu - Zeit für eine Lösungsfindung hatte der Gesetzgeber bereits seit 2019, denn schon im Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vor drei Jahren hieß es, dass Arbeitgeber verpflichtet werden müssen, eine objektive, verlässliche sowie zugängliche Erfassung der Arbeitszeit einzuführen.

Trotz erheblichen Aufwands empfehlen Arbeitsrechtler Unternehmen und Betrieben, so schnell wie möglich Lösungen zur Zeiterfassung im Arbeitsalltag zu installieren. Wie, das ist (noch) ihnen selbst überlassen.

Wer muss nachbessern?
Überall dort, wo bisher die sogenannte Vertrauensarbeitszeit galt, muss nachgebessert werden. Diese wurde jedoch auch schon bisherigen Vorgaben nicht ganz gerecht. Schon 2019 sah das BAG die Sachlage so: Nur weil der Arbeitgeber Vertrauensarbeitszeit anbietet, heißt das nicht, dass der Arbeitnehmer keine Überstunden vergütet bekommt.

Die Auslegung des BAG zur Vertrauensarbeitszeit bedeutet also, dass der Arbeitgeber darauf vertraut, dass sein Arbeitnehmer oder seine Arbeitnehmerin nur so viele Überstunden leistet, wie zur ordnungsgemäßen Erbringung seiner oder ihrer Arbeitsleistung erforderlich sind.

Jetzt jedoch wurde mit dem BAG-Urteil das Ende der Vertrauensarbeitszeit endgültig besiegelt. Wer also noch keine Form der Arbeitszeiterfassung hat, muss tätig werden. Bisher mussten nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit. Das gehört nun der Vergangenheit an.

Welche Möglichkeiten zur Arbeitszeiterfassung gibt es?
Es muss nicht immer die elektronische Variante der Arbeitszeiterfassung sein, die im Betrieb Einzug hält. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Stundenzettel oder Exceltabellen gehören zu den wohl einfachsten und billigsten Varianten. Weitere Alternativen sind etwa webbasierte oder mobile Softwarelösungen sowie Hardwarelösungen wie zum Beispiel die altbekannte Stechuhr. 

Was passiert, wenn man die Zeiten nicht erfasst?
Wer die Arbeitszeit seiner Belegschaft nicht erfasst, befindet sich in einem sogenannten rechtwidrigen Zustand. Zudem muss ein Betrieb dann damit rechnen, dass er vom Betriebsrat im Rahmen der Ausgestaltung der Zeiterfassung aufgefordert wird, ihn mitbestimmen zu lassen. 

Was bedeutet die BAG-Entscheidung und wie geht es nun weiter?
Für Betriebsräte und Arbeitnehmer ist das Urteil eine Verbesserung. Ihre Rechtsposition bei der Arbeitszeiterfassung ist dadurch gestärkt. Ein allgemeines Initiativrecht für Betriebsräte, bei allen möglichen technischen Einführungen mitzuwirken, gibt es jedoch nicht.

Insbesondere bei den beliebten Vertrauensarbeit- oder flexiblen Arbeitszeitmodellen sowie der Arbeit im Homeoffice ist nun mit Rückschritten zu rechnen. Denn das Urteil findet auch auf das Homeoffice Anwendung. Experten sprechen bereits vom Ende der Flexibilität der Arbeit von daheim.

Zunächst ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zudem als Grundsatzurteil zu betrachten. Das heißt: Für alle wurde verbindlich festgestellt, dass die Arbeitszeit von allen Arbeitgebern erfasst werden muss. Der Druck auf den Gesetzgeber steigt im Bereich der Arbeitszeiterfassung infolgedessen nun zusätzlich. Einige Gesetze müssen nun nachgebessert werden und der Übergang in die Zeiterfassung geregelt werden.

Autor:

WSP- Wirtschafts- und Servicegesellschaft Pfaffenhofen aus Pfaffenhofen

Frauenstraße 36, 85276 Pfaffenhofen an der Ilm
+49 8441 405500
info@wsp-pfaffenhofen.de
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