Pfaffenhofen International - Auf dem Weg zur Willkommenskultur
Ob man die Zeitung aufschlägt oder Nachrichten hört, fast jeden Tag findet man Berichte und Reportagen über Ausländer, Asylbewerber, Integrationsprojekte. Reißerische Schlagzeilen zu kulturellen Parallelwelten oder ausländerfeindlichen Aktionen haben dabei keine Seltenheit.
Wenden wir unser Augenmerk auf die Situation vor Ort in Pfaffenhofen und blicken ein wenig geschichtlich zurück: Bis Mitte des 20. Jahrhunderts gab es nur wenige ausländische Familien in der Stadt Pfaffenhofen. Mitte der 1950-er Jahre lebten hier 55 ausländische Staatsangehörige, verteilt auf zehn Nationen. Mit der Anwerbung von Gastarbeitern setzte aber dann eine rasante Entwicklung ein:
Bis 1970 waren bereits 327 Staatsangehörige unterschiedlicher Nationen in Pfaffenhofen gemeldet. Die Zahlen stiegen weiter und heute leben 2.520 ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus über 80 Nationen in unserer Stadt, also rund zehn Prozent der Bevölkerung. Fast 100 von ihnen sind Asylbewerber und auch ihre Zahl steigt weiter. Wenn man analog zu den Zahlen auf Bundes- und Landesebene beachtet, dass es ungefähr doppelt so viele Menschen mit Migrationshintergrund gibt wie Ausländer – viele sind bereits eingebürgert –, ist damit jeder fünfte Mitbürger der Stadt ein Mensch mit ausländischen Wurzeln.
Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen sind heute also in Pfaffenhofen selbstverständliche Wirklichkeit.
Unterschiedliche Religionen
Auch hier gab es große Veränderungen im Laufe der letzten Jahrzehnte: Bemüht man die Statistik, entdeckt man bei der Zugehörigkeit zu Religionsgemeinschaften eine größere Vielfalt und immer neue Glaubensgemeinschaften.
Der in Bayern traditionellen Glaubensrichtung der katholischen Kirche gehören heute in Pfaffenhofen nur noch ca. 60 Prozent der Bevölkerung an, 12 Prozent der evangelisch-lutherischen Kirche. Über 20 Prozent der Pfaffenhofener gehören keiner Religionsgemeinschaft mehr an und ihr Anteil steigt kontinuierlich. Mit den ausländischen Gastarbeitern kamen auch ihre Religionen, u.a. der Islam, mit nach Pfaffenhofen. Etwa 1000 Muslime leben inzwischen hier, der Großteil mit türkischen Wurzeln. Für fast alle Bürger der Stadt war es deswegen selbstverständlich und überfällig, als vor über einem Jahr der Bauausschuss des Stadtrates die Errichtung einer Moschee mehrheitlich befürwortete.
Hoher Anteil von Migrantenkindern
Wie reagiert unsere städtische Gesellschaft auf diese Umbrüche? Heute gibt es auch bei uns in Pfaffenhofen Kindergärten mit hohem Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund (zum Teil um die 40 Prozent). Es wurden eigens drei Erzieher angestellt, die speziellen Sprachunterricht für Migrantenkinder anbieten. In den Schulen, insbesondere an der Joseph-Maria-Lutz Schule oder der Mittelschule hat man einen sehr hohen Anteil an Migrantenkindern, in manchen Klassen bis zu 50 Prozent. Darunter sind immer wieder viele Kinder von Asylbewerbern oder von Flüchtlingen, die fast kein Deutsch sprechen und Sonderunterricht benötigen. Trotz großer Anstrengungen von Schulleitungen und Lehrkräften ist der Anteil dieser Kinder beim Übertritt an höhere Schulen sehr gering. Viele Pädagogen oder ehrenamtliche Helfer, die dolmetschen und Kinder betreuen, fühlen sich oft von staatlichen und kommunalen Behörden alleingelassen oder überfordert.
Die Volkshochschule bietet für die Erwachsenen mit gewissen sprachlichen Voraussetzungen Integrationskurse an.
Großes ehrenamtliches Engagement
An diesen wenigen Beispielen sieht man das durchaus starke Bemühen, der Gesamtsituation Rechnung zu tragen; aber ohne die massive Begleitung und Unterstützung durch viele Ehrenamtliche wäre die gesamte Integrationsarbeit nur ein Stückwerk.
Schon früh gab es Bestrebungen der Selbstorganisation von albanischen und türkischen Migranten in Pfaffenhofen. 2009 wurde der Internationale Kulturverein gegründet, der inzwischen über 60 Mitglieder zählt und sich mit der Mitarbeit des Integrationsbeauftragten der Stadt, der Volkshochschule, der Katholischen Erwachsenenbildung, der Caritas sowie kirchlicher Gruppen, Migrationsvereine und anderer Gruppierungen auf Stadtebene vernetzt hat.
Unter dem Leitthema „Interkulturell, interreligiös und integrativ“ leistet er auf ehrenamtlicher Basis wertvolle Beiträge zu einer Willkommenskultur. Wichtige Projekte sind die Förderung von Migrationskindern beim Übertritt an höhere Schulen, der Arbeitskreis Asyl mit über 30 Mitarbeitern sowie die Interkulturellen und Interreligiösen Wochen, deren Veranstaltungen seit 2008 bereits rund 10.000 Teilnehmer zählten. Feste Einrichtungen wie der Tisch der Religionen oder der Arbeitskreis Christlich-Islamischer Dialog zeigen an, dass sich auch die Religionsgemeinschaften der Herausforderung der multikulturellen Situation stellen.
Interkulturelle und Interreligiöse Wochen 2014
Im Mai und Juni 2014 finden unter dem Motto „MiteinANDERS leben – Brücken bauen“ wiederum Interkulturelle und Interreligiöse Wochen mit insgesamt 22 Einzelveranstaltungen statt.
Herzstück der Wochen ist der Internationale Begegnungsabend am 28. Mai in der Aula der Mittelschule, zu dem die gesamte interessierte Bevölkerung Pfaffenhofens eingeladen ist. Darüber hinaus stehen hochkarätige Vorträge zu gesellschafts- und kirchenpolitischen Themen, ein Konzert von Klezmorim, Theater der Berliner Compagnie, Ausstellungen und viele weitere Veranstaltungen stehen auf dem Programm.
Zukünftige Handlungsfelder
Damit Integrationsarbeit auf Dauer gelingen kann, bleiben für die Stadt Pfaffenhofen selbst künftig viele Handlungsfelder bestehen: Ein Migrationswegweiser soll für alle Neuankömmlinge entwickelt werden. Und unbedingt zu wünschen wäre, dass hauptamtliche Stellenbereiche der Stadt, wie das Kulturmanagement oder das Sachgebiet Familie und Soziales, die ehrenamtliche interkulturelle und integrative Arbeit in der Stadt stärken.
Sepp Steinbüchler
1. Vorsitzender des Internationalen Kulturvereins Pfaffenhofen e. V.
Statements
Doris Brock, Eine Welt Laden Pirapora e.V.
„Der Marktplatz von Kleindlfing ist rechteckig wie eine Haustüre.“ So beschreibt J. M. Lutz in seinem Roman „Der Zwischenfall“ das damalige Pfaffenhofen. „Oben steht die Kirche mit einem hohen Turm, auf den die Kleindlfinger sehr stolz sind, unten schließt das Rathaus den Platz ab.“
100 Jahre später tagt im Rathaus eine bunte Koalition, der Hauptplatz ist mit indischem Granit gepflastert und zusätzlich zum Kirchturm wird es bald auch ein Minarett geben, auf das die heutigen Pfaffenhofener auch stolz sind, Autoren werden nicht mehr vergrault, sondern sogar explizit zum Schreiben in den Flaschlturm eingeladen. Pfaffenhofen ist bunter geworden.
Wir leben alle in internationalen Beziehungen, selbst wenn wir keinen Schritt vor die Pfaffenhofener „Haustüre“ tun würden. Wir kaufen Kaffee ein, der in Südamerika angebaut worden ist, eine Jeans, die in Bangladesh zusammengenäht wurde oder ein T-Shirt, das um die halbe Welt geschippert ist, bevor es hier im Laden liegt. Und immer treffen wir eine Entscheidung. Wieviel darf der Kaffeebauer denn verdienen, die Näherin und natürlich auch der Milchbauer? Muss es immer das Billigste sein?
Bernd Duschner, Vorstand des Vereins "Freundschaft mit Valjevo e.V."
WIR BRAUCHEN MEHR ENGAGEMENT FÜR DEN FRIEDEN!
Unsere Stadt hat eine Friedenstradition: Als die Nato im Frühsommer 1999 Serbiens Industrie und Infrastruktur mit Luftangriffen weitgehend zerstörte, forderten über 100 Bürger im „PK“ die Einstellung dieser Bombardierungen. Bereits im Oktober 1999 brach ein erster Sattelzug aus Pfaffenhofen mit Lebensmitteln, medizinischen Material und Kleidung in die serbische Stadt Valjevo auf. Kindergärten, Schulen, Firmen und Hunderte Bürger unserer Stadt hatten diesen Hilfstransport mit ihren Spenden ermöglicht.
Auf den Krieg 1999 folgten Afghanistan, Irak und Libyen. Weil die Lebensgrundlagen in ihrer Heimat dauerhaft zerstört wurden, sind immer mehr Menschen gezwungen, bei uns als Flüchtlinge Schutz und Unterkunft zu suchen. Wir können sie nicht einfach „abschieben“. Wir tragen Mitverantwortung. Wir müssen unsere Stimme gegen den Wahn der Waffenexporte und „Militärinterventionen“ klar und deutlich erheben.
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